Tag 9

Tag neun beginnt wieder mal sehr zeitig. Der Wecker läutet um 6:00, danach ein bisserl Computerarbeit und dann raus zum ersten Termin des Tages. Diesmal kann ich beim Starttermin dem Kaffeehaus faktisch nicht ausweichen. D.h. der Morgen beginnt mit einem Kaffeehaus-Espresso um zwei Euro. Direkt danach geht’s zum Austausch mit Bürgermeister Häupl und Co., sprich an einen Ort, wo man eine Kaffeeeinladung nur schwer ausschlagen kann. Ich wage es trotzdem und bestelle mir ein Glas Leitungswasser. Zum Inhalt der Gespräche erzähle ich jetzt nichts, das Thema meines täglichen Blogeintrags ist ein anderes. 

Am Nachmittag treffe ich unsere Sozialsprecherin Birgit Hebein zum Austausch. Ich habe sie als eine Politikerin kennengelernt, die ehrlich und aufrichtig an der Seite jener kämpft, die wenig bis gar nichts vom so ungerecht verteilten „Kuchen“ besitzen. In früheren Jahren hat sie selbst die Erfahrung Sozialhilfe zu beziehen gemacht und erst kürzlich in einem  ihrer Blogbeiträge darüber geschrieben: 

flashback 1990. erinnerung einer sozialhilfebezieherin.

Aktuell kämpft Birgit u.a. für die Bereitstellung von ausreichend ganzjährigen Notquartieren, damit niemand in Wien auf der Straße schlafen muss. Und wer Birgit kennt, weiss dass dieser Kampf erst fertig ist, wenn er gewonnen wurde. Danke dafür.

 
Der Austausch hat sich für mich jedenfalls gelohnt. Dafür sind meine Tagesausgaben aufgrund eines Coffee to Go im Anschluss auf 4,40 angestiegen. Damit das nicht noch teurer wird, nutze ich eine kleine Lücke in meinem Tagesprogramm und fahre zum Essen nachhause. Nach dem Essen ist vor dem Einkauf und der hat heute das Ziel, die Grundausstattung von Hygiene- und Toiletteartikeln wieder herzustellen. Doch was heißt Grundausstattung? Ich bin ja ein echter Glücksritter, weil ich die wirklichen teuren Sachen wie Geschirrspülmittel, Waschpulver und Reinigungsmittel noch in ausreichendem Maße zuhause habe. Denn da würden ganz andere Beträge anfallen, als 5,53 Euro. Nur sind echte Mindestsicherungsbezieher_innen eben keine Glücksritter. Denn sie müssen Monat für Monat mit 7,50 und weniger am Tag auskommen. Wieder ein Beispiel dafür, dass meine Situation in diesem Monat ein echtes Paradies bzw. Schlaraffenland im Vergleich zu der echter Betroffener ist. 

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Die einzelne Rechnung von 5,53 Euro mag somit nach wenig aussehen, aber mit Blick auf meinen aktualisierten Kontostand von 144,47 Euro werde ich langsam ein wenig frustriert. Mir bleiben für die noch ausstehenden 22 Tage gerade mal 6,56 Euro pro Tag. Das ist zu wenig, denke ich mir und bin hin und her gerissen, ob ich mehr auf mich selbst oder auf andere angefressen sein soll, weil sich das alles vorne und hinten nicht ausgeht. Anfangs auf mich, weil mir bewusst ist, dass da noch mehr an „eisernem Sparen“ möglich ist. Kaffeehäuser müssen für den restlichen Monat einfach tabu bleiben. Dann dreht sich mein Ärger aber vor allem in Richtung all jener, die dieses bisschen, das ich in diesem Monat zur Verfügung habe, all jenen wegnehmen bzw. kürzen wollen, die Monat für Monat nicht mehr zur Verfügung haben. Wie sozial kalt, sorry, „tiefgefroren“ kann man denn eigentlich sein? Wollen wir denn wirklich zurück zu einer Politik der Almosen?  Nein, das wollen wir nicht. Wir müssen dorthin, dass Einkommen zum Auskommen langen und dass soziale Sicherheit zeitgleich Auffangnetz und Chance für eine neue Zukunft bedeutet. 

 

Von diesen Gedanken zurück zum Tag. Da stehen noch zwei Termine für mich an. Einer bei den Grünen Neubau, der finale Tagestermin dann in bei den Grünen Brigittenau. Spätabends komme ich schließlich heim, greife noch zu Obst, Joghurt und Biskotten, ehe ich mich kurz nach Mitternacht ins Bett schmeiße und von einer gerechteren Welt träume.

 

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PS: Ich verwende zum Rasieren den Gillette Fusion Power. Heute beim Einkauf wurde mir erst so richtig bewusst, wie luxuriös das fast schon ist. Eine Klinge kostet fast ein ganzes Tagesbudget, nämlich 5,50 Euro. Die 8-Klingen-Packung gibt’s um satte 43,99 Euro, also etwa ein Fünftel von dem, was Mindestsicherungsbezieher_innen im Monat zur Verfügung steht.
Crazy und bedrückend zugleich. Mich machts jedenfalls einmal mehr nachdenklich. 
 

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8 Gedanken zu “Tag 9

  1. Hallo, bin durch Zufall über deinen Blog gestolpert als Student lebe ich derzeit theoretisch ( was das Finanzielle angeht) auch unter der Armutsgrenze das aber Gott sei Dank nur temporär mit einem absehbaren Ende, daher mal meine Tipps für die nächsten 2,5 Wochen. Food sharing wurde schon genannt In Graz gibts sogenannte Fairteiler in der ganzen Stadt verteilt dort gibt es ein ständiges geben und nehmen von Lebensmitteln. Für Sozialhilfe Empfänger gibt es sehr günstige Sozialmärkte und die Tafel in Wien ist sicher auch ein Tipp. Oder unter manchennjungen Leuten sehr beliebt das Containern. Wenn du nicht ganz so weit gehen willst oder kannst. Alle Lebensmittelketten verkaufen LM kurz vor dem MHD bis zu 50% günstiger ab und auch das Brot vom Vortag ist noch mindestens 3 Tage frisch. Das was für mich persönlich wichtig ist ist Lagerhaltung. Wenn ich mal 3 Gute Brote um den halben Preis angeboten bekomme nehme ich alle ( zumindest wenn der gefrierschrank es zulässt) portioniert eingefroren und am Vortag aufgetaut bzw wenn vergessen dann mit demToaster voll gut .. Auch Sonderangebote wie jetzt Grad beim Billa Markenbutter ab 4 Stück 99 cent zahlen sich aus ich hab gestern 8 Pkg gekauft damit komm ich jetzt 2-3 Monate aus und in Summe 4 Euro gespart im Vergleich zur Discounter Butter bis dahin hoff ich das es wieder eine Aktion gibt.. Das hört sich im Moment nicht so viel an aber wie gesagt wenn man nicht nur ein Monat wenig Geld hat ist vorrausdenken Pflicht. Und es gibt ja immer wieder Super Aktionen Liebe Grüße aus Graz

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  2. Genaugenommen sollte dieses „Experiment“ spätestens hier als gescheitert betrachtet werden. Warum? Es ist jetzt schon zum wiederholten Mal etwas von „diese Dinge kaufe ich nicht, da habe ich zum Glück noch etwas daheim“ zu lesen.
    Von EUR 7,50 pro Tag zu leben bedeutet nämlich auch, sich KEINE Vorräte von teuren Produkten leisten zu können und jeden Tag aufs Neue zu kämpfen.
    Auch Reparaturen lassen sich nicht endlos verschieben und trotz 365-Euro-Jahreskarte verringert sich dadurch das Budget pro Tag um einen zusätzlichen Euro.

    Wenn sie von den verbleibenden EUR 6,50 pro Tag LEBEN wollen, dann sind die in diesem Blog veröffentlichten Erfahrungen extrem verzerrt/realitätsfremd. Womit wir wieder beim Ausgangspunkt des Kommentars angekommen wären, den Versuch als gescheitert zu erklären.

    Trotz Allem finde ich es toll und mutig, dass hier zumindest versucht wird, den gewohnten, gehobenen Lebensstil zu verlassen und die Probleme der „normalen Bevölkerung“ selbst zu erleben. Etwas mehr Realitätsentsprechung wäre aber wünschenswert.

    PS: Ich bin kein Mindestsicherungsbezieher und glücklicherweise in der Lage, meinen Lebensunterhalt ohne gröbere Probleme zu bestreiten. Allerdings erlebe ich diesen Kampf um die Existenz täglich in meinem Verwandten- und Bekanntenkreis.

    PPS: Aus einer Dosen Thunfisch (EUR 1,29), einem Becher Schlagobers (EUR 0,89), einer Packung passierte Tomaten (EUR 1,39), Nudeln (EUR 0,85), etwas Salz und Pfeffer lassen sich Spaghetti al Tonno für etwa 4,50 kochen, die Portion (gesamt etwa 1800g) reicht für mehrere Mahlzeiten und schmeckt auch aufgewärmt!

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  3. Hallo,

    Ich bin sehr beeindruckt, ich war 2013 arbeitslos, bekam nur den mir zustehenden mindestbetrag von rund 800€ (Mir blieben für mich keine 300€)

    Vor 1,5 Jahren zog ich mit meinem Freund zusammen, als ich wieder einen Job hatte. Leider war ich der Firma zu Kundenorientiert, deshalb musste ich gehen. Also bekam ich ab da nur noch Ca 430€, da ich mit meinem Partner (nicht verheiratet) zusammenlebe. Ich empfand diese Situation als furchtbar. Mein mietanteil zahlte ich natürlich, das sind rund 350€, der Hund möchte auch etwas essen. Und ich auch.
    Ich hab so ungesund gegessen, dass ich 20kg mehr auf die Waage bringe, weil das immer irgendwie günstiger kam.
    2014 wollte ich nicht untätig bleiben und bekann die Studienberechtigungsprüfung zu machen, alles finanziert mit geliehenem Geld, weil das AMS dies nicht unterstützt. Seit Februar bin ich fertig! ❤️
    Seit November arbeite ich wieder, verdiene nur 600€, aber es ist wenigstens irgendwas. Mal sehen wie es im Studium wird, da ich keine studienbeihilfe bekäme und Selbsterhalterstipendium sich nicht ausgeht… 😦 plus FHs sind teuerer. Aber es wird irgendwie.

    Was übrigens noch ganz schlimm an der Mindestsicherung ist, dass man nicht mehr aus der Wohnung kommt. Alles kostet irgendwie Geld, man trifft kaum noch Menschen. Das ist furchtbar.

    Ganz liebe Grüße 🙂

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  4. Ich verstehe nicht, warum Sie den Kaffee nicht endlich sein lassen und jeden Tag das Geld für lauter unnötigen Luxus beim Fenster raushauen. Diesen Blog zu lesen ist eine tägliche Selbstbestrafung für mich.

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    • einmal in zwei Wochen in einen Cafe zu sein und nichts zu bestellen, na gut. geht schon. Und man kann ja auch manchmal jemand anschnorren

      Aber jedesmal nichts bestellen können? Wurscht ob jetzt Kaffee oder Tee, Apfelsaft oder sonstwas.
      Oder jedesmal jemand anschnorren? Dann bist bald deine Kontakte los, wenn das immer nur einseitig ist. Oder nichts ins Cafe gehn ( im übrigen – genau das tun wir ja eh meistens!)

      Ich bescheinige Deinem Kommentar, dass du dich nicht hineinversetzen kannst. Aber du holst dir anscheinend gerne deine tägliche Dosis Selbstbestrafung.
      Ein jeder wie er möchte.
      Gruesse, Joe

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  5. willkommen in unserer Welt

    ich schaff es auch nur, weil ich hin und wieder ein bisschen extra ‚verdienen‘ kann, wenn ich jemand zb beim Wohnungsrenovieren, Übersiedeln oder dergleichen helfe.
    nein, ich bin kein Schwarzarbeiter, nein, es ist weit weg von regelmaessig und ja, es ist notwendig, dass ich mir auch manchmal neue Schuhe kaufen kann oder eventuell einmal essen gehe.
    In diesen Dimensionen macht ja schon ein Hunderter plus einen ziemlichen Unterschied.
    Aber eigentlich würde mir dieser Hunderter extra von der Mindestsicherung abgezogen werden, wenn ich es bekannt gebe…..

    Mein guten Wünsche begleiten Dich beim Groscherlzählen, am Ende des Geldes ist immer noch genug Monat übrig. Irgendwie muss es gehen, und es geht auch.
    Auf Sparflamme.

    Es nervt halt, wenn Sparflamme Dauerzustand ist.

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